Venetica – im Test (360)

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Actionorientierte Rollenspiele mit einer weiblichen Heldenfigur sind selten. Werden dazu noch große Themen wie Liebe und Verlust, Leben und Tod behandelt, ist das umso außergewöhnlicher. Und kommt ein solches Werk aus deutschen Landen, heißt das einzigartig. Entsprechend haben wir “Venetica“ mehrere Ausgaben lang in der Artikelserie “So entsteht ein Spiel“ begleitet. Dann wurde es aber still um den vielversprechenden Titel, die Konsolenfassung verschob sich Monat um Monat – ein schlechtes Zeichen. Auf leisen Sohlen kommt “Venetica“ kurz vor Weihnachten in die Läden. Hat die weitere Entwicklungszeit gutgetan oder erscheint das ambitionierte Projekt etwa nur auf Drängen des Publishers dtp?

“Venetica“ beginnt mit einem Knall: Das Heimatdorf von Heldin Scarlett, einer bis dahin schüchternen Waisen, fällt einem Angriff von Assassinen zum Opfer. Scarlett wird zum Sündenbock abgestempelt – und hinterrücks von den einfältigen Bewohnern ermordet. Doch als Tochter des Todes wandelt das zierliche Mädchen zwischen den Dimensionen. Früh im Spiel lernt Ihr, per Knopfdruck zwischen der irdischen und der Geisterwelt zu wechseln. So umlauft Ihr Gegner, greift in deren Rücken an oder flieht einfach. Die erste Spielstunde zieht Euch in den Bann: Ihr brecht mit Scarlett auf ins große Abenteuer, motiviert von Rachegefühlen – oder aus Liebe zum ermordeten Geliebten. Ob gütig oder brutal, das (Quest-)Vorgehen entscheidet Ihr selbst: Lasst beispielsweise Wachmänner auffliegen oder helft ihnen, einen Betrug zu vertuschen. Tötet einen verräterischen Gastwirt oder lasst Gnade walten, denn schließlich wurde dieser erpresst! Ebenso schüchtert Ihr Informanten ein oder fragt höflich um Infos. Das wirkt sich letztlich zwar nicht auf den Ausgang der linearen Geschichte aus, erspart Euch aber Kämpfe oder schont Euren Geldbeutel. Viele Aufgaben ergeben sich harmonisch aus dem Spielablauf: Der Dorfschmied will eine Werkstatt in der Stadt, dem Fährmann sind die Paddel abhanden gekommen. Öde Sammelquests sucht Ihr vergebens, vielmehr sind die Geschichten um einzelne Charaktere miteinander verwoben und ziehen Euch tiefer ins Geschehen hinein. Die Story ist die Stärke von “Venetica“, auch wenn sie gegen Ende abflacht und vor Kitsch strotzt. Doch die sympathische Heldin braucht Eure Hilfe, denn fünf Herrscher brüten über eine Verschwörung und einzig Scarlett steht ihnen noch im Weg. In den Zwischensequenzen hecken die Fieslinge einen Mordplan nach dem anderen aus, doch anstatt Scarlett trifft es ihre Nächsten: Erst der Geliebte Benedict, dann ein streitbares Brüderpaar, das uns den Weg zum zentralen Schauplatz des Spiels weist – der Wasserstadt Venedig. Ein manipulierter Steinschlag begräbt das Brüderpaar, fortan helfen die beiden Euch in Geistform, zahlreiche verschlossene Kisten in einem Minispiel zu knacken.

Eine Prise ”Zelda” verbirgt sich im flotten Kampfsystem: Mit nur einer Angriffstaste und dem richtigen Timing zwischen den Schlägen fegen Combos über die dümmlichen Feinde hinweg, zudem nehmt Ihr Gegner ins Visier und tänzelt im Kreis um diese herum. Doch gerade in Kämpfen verliert Ihr wegen der wild zuckenden Kamera oft die Orientierung – justiert manuell nach. Glücklicherweise plagen Euch in den fulminaten Bosskämpfen weniger Sichtprobleme als vielmehr die in zwei Runden zu knackenden Obermotze. Denn Ihr besiegt die fünf Fürsten nicht nur in der irdischen Form, sondern auch in der Totenwelt. Dort offenbaren sie ihr wahres Gesicht. Ob Giftschlange oder Muskelprotz – die taktischen Duelle verlangen Beobachtungsgabe, jeder Endgegner hat einen individuellen Schwachpunkt. Hilfreich sind Scarletts Spezialfähigkeiten, denn Combos und selbst das Blocken mit einer der vier Waffengattungen (Schwert, Axt bzw. Hammer, Speer und die erweiterbare Mondsichel als Waffe des Todes) wollen erlernt sein. Trainer bilden Eure Fertigkeiten in zwei Stammbäumen aus (Kampf und Magie), nach jedem Stufenaufstieg verteilt Ihr zudem Punkte auf vier Parameter wie lebensstärkende Konstitution oder Magievorrat – die Charakterentwicklung ist simpel, aber einsteigerfreundlich. Eher umständlich wirkt die Bedienung der Spezialtalente, von denen Ihr bald weitaus mehr im Repertoire habt, als auf den vier frei belegbaren Aktionstasten Platz finden – auch wenn jede Waffenklasse einen eigenen Vierer-Slot zur Verfügung hat, das Sortieren im Menü gerät mühsam.

Die Spielwelt von “Venetica“ ist übersichtlich und bietet keine durchgehende Welt vom Schlage eines “Fallout 3“. Auf der Übersichtskarte scheint das virtuelle Venedig des 15. Jahrhunderts riesig, de facto erforscht Ihr aber nur gut ein Drittel des Bereichs. Nachladepausen beim Betreten von Häusern und Bezirken, das spärliche Stadtleben und das stark limitierte Charakterdesign mit sich ständig wiederholenden Figuren trüben zudem den Eindruck einer pulsierenden Großstadt. Besonders die unsichtbaren Levelgrenzen offenbaren die beschränkte Spielwelt: Scarlett läuft wie auf Schienen, sie kann weder über kleine Absätze springen, noch den vorgegebenen Pfad verlassen. Das bremst die Atmosphäre gewaltig. Im Gegenzug setzt das Spiel auf stimmige Klänge: unaufdringliche bis pointierte Hintergrundmusik, gute Waffensounds und eine hervorragende Synchronisation mit professionellen deutschen Sprechern. Da verzeihen wir auch, dass Letztere mehrere Rollen im Spiel vertont haben.

+ zahlreiche erlernbare Talente
+ simples Verbessern von Waffen, Rüstungen und Charakterattributen
+ lineare Handlung, aber verzweigte Quests
+ clevere Bosskämpfe
+ tolle deutsche Sprecher…

– die aber auffällig vielen Charakteren Ihre Stimme leihen
– viele Programmierfehler
– unhandliches Inventar
– PC-Herkunft unübersehbar
– nervige Kamera, besonders in Kämpfen

Philip Ulc meint: Scarlett, du listiges Prachtstück! Bist sexy auf den ersten Blick, doch birgst auch grob aufgelöste Texturen und zu spät ins Bild ploppende Bodenobjekte. Bewegst dich elegant, doch variantenarme Nebenfiguren staksen hölzern durch Levelschläuche. Sprichst mit toller Stimme, aber warum redet die Magd mit gleicher Intonation? ”Venetica” besitzt offensichtliche Macken (schwachsinnige NPCs, schlechte Kamera, Sprachfehler) und selbst mit weiteren sechs Monaten Entwicklungszeit wäre nicht alles ausgebügelt. Scheitert das Spiel letztlich an Überambitioniertheit? Ich sage: nein. Trotz Mängel lässt sich ”Venetica” (übrigens im Gegensatz zur PC-Version) ohne Hänger angenehm in etwa 20 Stunden durchspielen. Die lineare, aber spannende Story und die rudimentäre Charakterentwicklung sind ideal für Rollenspiel-Frischlinge, auch wenn die flotten Kämpfe gute Reaktionen erfordern. Wermutstropfen: Gleichzeitig schwindet dadurch der Wiederspielwert.

Lineares Action-Rollenspiel für Einsteiger mit toller Handlung und adretter Heldin, das aber technisch unfertig wirkt.

Singleplayer70
Multiplayer
Grafik
Sound
Saldek
I, MANIAC
Saldek

Hm schade, war für mich eins der interessantesten Projekte 2009. Mit techn. Problemen kann ich leben, die hatten selbst zeitlose Kunstwerke wie Shadow of the Colossus.Schlimmer sind für mich Schlauchlevels, eingeschränkte Bewegungsfreiheit und Nachlade-Bezirke ala AC2.

captain carot
I, MANIAC
captain carot

Anscheinend fehlt da entweder Manpower oder Zeit und Geld für suabere Ports, weswegen die Konsolenumsetzung nur zur billigen Zweitauswertung reichen. Allerdings bleibt bei so defizitären Ports eben auch einiges an möglichen Umsätzen aus.

wolfe
I, MANIAC
wolfe

Man sollte gerade so mancher Deutschen Spieleschmiede wg. des fehlenden Feinschliffs ihrer Produkte auf die Finger klopfen – und das nicht zu knapp. Gab da ja jetzt schon einige Reinfälle in der letzten Zeit…