Dieser Artikel stammt aus der M! 347 (August 2022).
SAN FRANCISCO • Mit Wurzeln im CIA-Start-up In-Q-Tel und finanziert von Google und Nintendo ist Niantic eines des erstaunlichsten Unternehmen der Games-Branche (siehe M!-332-Porträt). Das Team um MMO-Pionier John Hanke entwickelt keine konventionellen Spiele, sondern Smartphone-Apps, die GPS und Kamera nutzen, und verblüfft 2016 alle Welt mit Pokémon Go. Die Augmented-Reality-Safari wird ein globaler, grenzen- und generationsüberschreitender Erfolg, wie ihn selbst der Lizenzgeber, die erfolgsverwöhnte The Pokémon Company, nicht erwartet hätte. Im ersten Jahr holen sich 500 Millionen Menschen Pokémon Go aufs Handy, Anfang 2019 sind es schon über 1 Milliarde und bis 2020 hat eine App, die eigentlich nichts kostet, eine gewaltige Summe, über 6 Milliarden US-Dollar eingespielt.
Den Geldsegen und stetigen Cashflow reinvestiert Niantic in zig Zukäufe, übernimmt in schneller Folge das kalifornische AR-Start-up Escher Reality, eine Londoner Firma, die auf neuronale Netze spezialisiert ist, das Spielestudio Seismic in Los Angeles (Marvel Strike Force), investiert in den Holo-Display-Spezialisten DigiLens, schluckt eine 3D-Scan-Firma und 2021 die Online-Community Mayhem. Andererseits gelingt es Niantic nicht, den Pokémon-Erfolg mit weiteren AR-Spielplätzen zu wiederholen: Das 2019 mit Warner Bros. gestartete Harry Potter: Wizards Unite schließt Anfang 2022 sang- und klanglos, Catan: World Explorers wird schon ein Jahr nach regionalem ”Soft Launch” (Neuseeland, Australien, Dänemark, Schweiz und Singapur) wieder aufgegeben und auch die Pikmin Bloom-App, die Pokémon Go-Macher Tatsuo Nomura entwickelt und die vielversprechend loslegt, bleibt letztlich weit hinter den Erwartungen zurück, spielt bis Mai 2022 nur karge 5 Millionen US-Dollar ein. In einer Mail an die Mitarbeiter, die Jason Schreier, dem Game-Experten beim US-Nachrichtendienst Bloomberg zugespielt wurde, beschreibt Niantic-Chef Hanke die Konsequenzen: Rund 90 Beschäftigte (8% der Belegschaft) müssen gehen, vier geplante und bereits angekündigte Projekte werden ersatzlos gestrichen. In einer ”Zeit ökonomischer Stürme”, ”schwerer Transition” und ”Kostenreduktion in mehreren Bereichen” werden sowohl das Transformers-Spiel Heavy Metal als auch das AR-Theater Hamlet aufgegeben, außerdem die mysteriösen Projekte Blue Sky und Snowball. In der Niantic-Pipeline verbleiben nur zwei Titel: der Knuddelwesen-Trainer Peridot sowie ein MMO-Basketball-Turnier namens NBA All-World.