STOCKHOLM / LONDON • M!-Leser, die nicht erst seit gestern, sondern schon in den 1990er-Jahren spielen, horchen bei der Entscheidung auf, die das schwedische Nobel-Komitees am gestrigen 9. Oktober verkündet: Zusammen mit dem amerikanischen Biochemiker David Baker und seinem Google-Kollegen John Jumper erhält Demis Hassabis (46) den diesjährigen Chemie-Nobelpreis, für Arbeit an K.I., die Proteinstrukturen entschlüsselt und vorhersagt.
Hassabis? Ist das nicht das Wunderkind, das vor genau 30 Jahren mit der vergnüglichen Rummel-Simulation Theme Park debütiert, dann mit Peter Molyneux und Games-Workshop-Mann Peter Jackson zum Startup Lionhead wechselt? Ja, Hassabis ist ein Gamer seit Kindheit: Schach spielt er ab dem 4. Lebensjahr, ist mit 13 ein ELO-2300-Meister, vertritt als Teen seine Uni Cambridge gegen Oxford; er liebt den US-Brettklassiker “Diplomacy” und vor allem das asiatische Go, das älteste Brettspiel der Welt.
Programmieren lernt Hassabis im Grundschulalter auf einem ZX Spectrum und absolviert seine A-Level-Abschlüsse vorzeitig mit 16. 1992 wird der Gamedesign-Promi, Populous-Erfinder Peter Molyneux auf die Begabung aufmerksam und holt Hassabis zu Bullfrog. Gleich das erste Spiel, das Game-Veteran und Youngster 1994 zusammen schaffen wird ein weltweiter Hit: Als wuselige und zuckwerwatte-süße Aufbau-Simulation ist Theme Park halb Arbeit, halb Vergnügen, schlägt virtuos eine Brücke zwischen traditioneller, Parameter-verliebter Core-Strategie und bunt-fröhlichem Casual-Gameplay der Zukunft. Von PC und Amiga auf Sega, Nintendo und PS1 umgesetzt, verkauft es sich drei, vier Millionen mal – nicht schlecht für das Debüt eines gerade mal 18jährigen.
1997 macht Hassabis noch schnell seinen “Computer Science”-Abschluss am Queen’s College, Cambridge und arbeitet dann bei Lionhead an Black & White. Nach Populous und Powermonger folgt Molyneux damit seiner “God Game”-Vision – der Echtzeit-Simulation einer 3D-Welt. Sie bringen massiv K.I. ins Spiel, ertüfteln Lernmodellen für Monster, die man in Black & White züchten und trainieren kann. Doch bereits 1998 verlässt Hassabis Lionhead und gründet eine eigene Firma, was nicht gut geht: Mit Republic will er einen ganzen Staat zum Leben erwecken und minutiös simulieren, aber das überfordert Game-PCs und – trotz Eidos-Sponsoring – auch sein Studios, das 2005 dicht macht.
Das Karriereende im Game-Biz gibt Hassabis Gelegenheit zur Fortführung seiner akademischen Laufbahn. Er macht 2009 seinen Dr. in kognitiven Neurowissenschaften, durchforscht am UCL , am M.I.T. und in Harvard unser Gehirn nach Inspiration für die K.I. und gründet 2011 in London das K.I.-Labor DeepMind Technologies. Dem Uni-Umfeld beweist Hassabis maschinelles Lernen mit dem Atari-Klassikers Breakout, den DeepMind-Algorithmen selbstständig checken und meistern, sogar neue Highscore-Tricks finden.
Das beste, das ideale Spiel und der ultimative Intelligenz-Test ist für Hassabis Go: Kinderleicht, was die Regeln, aber unmöglich komplex, was das Spiel angeht – kein Vergleich zu Schach, das der Computer bereits 1997 meistert. Von Chinesen, Japaner und Koreaner über 3000 Jahre zur Kunst verfeinert, gilt Go als unmöglich, als zu groß für jede Intelligenz. Diesen heiligen Gral der Computerwelt sucht und findet Hassabis: 2014 wird DeepMind für rund eine halbe Milliarden Euro von Google übernommen und fegt 2016 mit „AlphaGo“ den koreanischen 9.Dan-Profi Lee Sedol vom Brett. Erstmals zwingt Software einen Großmeister in die Knie, zumindest der fähigste aller Spielcomputer (1920 CPUs und 280 Grafik-Chips) beherrscht das ältestes und schwerstes Spiel nun besser als jeder Mensch! Hassabis hat sein großes Ziel erreicht und setzt die DeepMind-Algorithmen auf Proteinfaltung an…
Dass Spielentwicklung, Technik-Evolution und menschlicher Fortschritt Hand in Hand marschieren, glauben M!-Leser schon lange – wir sind gespannt, ob und wann der nächste Gamedesigner als Nobelpreis-würdig erkannt und geehrt wird.
Bildquelle: The Royal Society / Wikipedia
Wow, bin echt beeindruckt. Toller Artikel und Respekt an Herrn Hassabis :-).
Wollts grad selber schreiben; an solch einen Lebenslauf kommen die wenigsten ran. Gratuliere zum Nobelpreis.
Krasser Lebenslauf, Respekt und Gratulation zum verdienten Erfolg!