Kriminologe Christian Pfeiffer im Gespräch

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MAN!AC: Er sagte in der MAN!AC-Ausgabe 02/07: ”Außenstehende sehen [bei Counter-Strike] blutrünstige Bilder, die für sie gefährliche Ähnlichkeit mit der Realität haben. Der Spieler sieht vielmehr Handlungsanreize etwa für seine motorischen Fähigkeiten oder taktische Absprachen mit den Mitspielern. Die Aufforderung zum Morden steht offensichtlich nicht im Vordergrund.” Ihre Antwort?

Christian Pfeiffer: Eine typische Verharmlosung von Herrn Fritz, der offenkundig gerne das sagt, was seinen Geldgebern gefällt. Von daher nehme ich Äußerungen von ihm, Herrn Kaminski (Anm. d. Red.: Prof. Winfried Kaminski ist am Institut für Medienforschung und Medienpädagogik in Köln beschäftigt) oder anderen, die in diesem Kontext arbeiten, nicht sehr ernst. Das sind Lobby­isten der Industrie, die keine ernst zu nehmende Wissenschaft betreiben. Die Arbeiten von Fritz und Kaminski zeichnen sich dadurch aus, dass sie extrem unempirisch sind und sich nicht an mit wissenschaftlichen ­Methoden gewonnenen Fakten orientieren. Vielmehr kommen viele Behauptungen aus dem Bauch heraus.

    Aber zu dem Zitat. Da muss man ­gegenfragen: Warum spielen denn Leute solche Tötungsspiele und nicht ständig Fußballspiele? Das ist eben nicht so prickelnd wie das Töten. Der Reiz des Tötens  macht Counter-Strike aus (3) und das Spiel wäre sicher nicht so erfolgreich, wenn man nicht ständig in Kampfhandlungen verstrickt wäre. Spiele, in denen andere Formen des Wettbewerbs im Vordergrund stehen, erreichen längst nicht die Verkaufszahlen und die Beachtung von Counter-Strike.

(3) – Counter-Strike

Aus dem PC-Spiel Half-Life entstanden, ist Counter-Strike bis heute weltweit der populärste Online-Shooter. Nach dem 2004er Update Counter-Strike Zero erschien im selben Jahr zusammen mit Half-Life 2 das grafisch runderneuerte Counter-Strike: Source. Für den japanischen Markt gibt es Counter-Strike Neo, das vom ursprünglichen Thema ’Terroristen gegen Anti-Terroristen’ abweicht. Für Furore sorgte das Spiel 2002 im Zusammenhang mit dem Amoklauf Robert Steinhäusers am Erfurter Gutenberg-Gymnasium am 26. April. Am 16. Mai tagte ein Zwölfergremium der BPjM, um über die Indizierung des Spiels zu entscheiden. Aufgrund einer immensen Protestwelle der Spieler fanden erstmals in der Geschichte der BPjM Vertreter der Community Gehör. Es kam nicht zur Indizierung, weil das Gremium erkannte, dass das Spielziel auch ohne Tötungsakte erreicht werden könne und der Gemeinschaftsaspekt sowie die Kommunikation der Spieler im Vordergrund stehe, nicht das Töten.

MAN!AC: Wo liegt die Grenze zwischen einem anständigen Spiel und einem Spiel, das Ihrer Meinung nach indiziert bzw. verboten gehört? Kann man das an der Menge der abgetrennten Körperteile festmachen?

Christian Pfeiffer: Ganz klar: Wenn das Begehen von Verbrechen belohnt wird, gehört so ein Spiel nicht nur indiziert, sondern verboten. Die strafrechtliche Verfolgung der Käufer halte ich für falsch. Den Herstellern durch ein Verbot dagegen den Geschäftserfolg zu nehmen, halte ich für sehr erstrebenswert.

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Ob jemand ein Spiel spielt, ein durchschnittliches Buch liest oder ein durchschnittliches Bild malt, ist kein grosser Unterschied.
Das menschliche Gehirn hat sich in 10.000 Jahren nicht gross weiter entwickelt. Ein Mensch von damals könnte ein Auto steuern. Und da liegt der Knackpunkt.
Die Gesellschaft dürstet es nach Sündenböcken.
Wenn der Mythos Normalität von der Realität abweicht, dann suchen wir wie die alten Griechen nach Sündenböcken (Pharmakoi oder Pharmakos). Früher waren das echte Menschenopfer.
Das können Minderheiten, Rassen oder eben Videospiele oder Filme sein. Ob 2000 vor Christus oder danach, völlig egal. Alles kann ein Sündenbock sein, wenn die kosmetische Darstellung reicht, und die Masse Befriedigung empfindet. Völlig egal, sie sind nur dem Wandel unterworfen, ändern ihr Aussehen.
Aberglaube und Einbildung sind die stärksten Antriebskräfte dafür. Egal ob einer Lehrer oder Richter ist.
Wir sind immer nach der Suche, das was uns stört, mit Sündenböcken zu erklären. So funktionieren wir. Das ist tragisch, aber menschlich.
Gewalt findet meiner Meinung nach in keinem Videospiel statt. Gewalt muss materiell sein, damit sie echt ist. Da sind nur virtuelle Modelle und Farben. Erst im Gehirn des Users entsteht der tatsächliche Eindruck. Das Lesen des Artikels hat Spass gemacht. Eben wieder Einbildung, durch die rechte Gehirnhälfte, glaube ich. So steht es bei Oliver Sacks. Darum fürchten wir uns auf bei Horrorfilmen, obwohl da nichts echt ist. 10.000 Jahre…
Und zur Zeitdauer. Wenn ich eine Sprache lerne, dann ändert sich mein Botenstoffhaushalt auch, oder wenn ich Holz hacke. Aber keiner käme auf die Idee, diese Vorgänge in einem bio neuro chemischen Vakuum ausdrücken zu wollen.
Und bei Spielen soll das auf einmal wichtig sein? Das wird nur gesagt, weil Spielen nicht so sinnvoll von der Gesellschaft angesehen wird, wie Sprachen lernen oder Holz hacken.
Wir sollten uns von diesen modernen Priestern nichts weiss machen lassen.
Die echten Schäden entstehen viel eher durch die jährlich erhöhte Selektion, in Neusprech gerne euphemistisch als “Bildung” betitelt. Durch diesen unmenschichen Leistungsdruck zerbrechen viele junge Schüler. Dieser als Normalität betitelter Wahnsinn produziert am laufenden Band Menschen, die den Druck auf tragische Art gegen sich oder andere entladen. Jahr für Jahr wird dies schlimmer. Das können wir uns nicht eingestehen, und küren darum stets unsere Sündenböcke.