Kriminologe Christian Pfeiffer im Gespräch

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MAN!AC: Die USK-Kennzeichnungen sollen künftig deutlich größer auf den Packungen prangen und an den Kassen sollen Warnsignale auf altersrelevante Medien hinweisen. Wie sieht für Sie das perfekte Jugendschutzsystem bei Video­spielen aus?

Christian Pfeiffer: Das Wichtigste sind Testkäufer. Der ganze Kassenzirkus ist wirkungslos, wenn die Verkäufer nicht Angst vor einem hohem Bußgeld haben müssen. Gegenwärtig steht das Bußgeld zwar auf dem Papier, aber der ganze Jugendmedienschutz ist ein Papiertiger. Die Tatsache, dass vier Fünftel aller männlichen Jugendlichen Spiele ab 18 spielen, zeigt: Das System funktioniert nicht. Zweitens bräuchten wir eine bessere USK (4), aktuell ist sie zu eng mit den Software-Herstellern verbandelt. Die Tester müssen unabhängig und gut bezahlt sein und gelegentlich ausgetauscht werden. Ich finde es unmöglich, dass die Abstumpfungsprozesse beim Spielen nicht einkalkuliert werden und derselbe Herr Klingelstein seit zehn Jahren seinen Job macht. Was dabei rauskommt, können wir nur mit einem Kopfschütteln quittieren.

(4) – USK

Der von Pfeiffer kritisierte Marek Klingelstein arbeitet seit Gründung der Unterhaltungssoftware Selbstkon­trolle 1994 in der Testabteilung, die er heute leitet. Das Kürzel USK dürfte jedem Spieler geläufig sein, schließlich prangen auf Verpackungen und (in aller Regel) Datenträgern Prüfsiegel mit der Altersfreigabe. Die Einstufungen der Berliner Institution sind seit der Neufassung des Jugend­medienschutzgesetzes im Jahr 2002 rechtlich bindend, vergleichbar mit der FSK-Freigabe von Kinofilmen. Das hat zur Folge, dass Verkäufer im Einzelfall per ­Ausweiskontrolle prüfen müssen, ob der Kunde das gewünschte Spiel kaufen darf. Das scheitert im Alltag daran, dass Kassenkräfte im Einzelhandel nicht konsequent kontrollieren. Aus diesem Grund wird derzeit diskutiert, ob größere USK-Logos und Warnsysteme an den Kassen dieses Problem beseitigen können. Im Beirat der USK sitzen unter anderem auch Prof. Fritz sowie die Vorsitzende der BPjM, Elke Monssen-Engberding.

MAN!AC: Mit Alterseinstufungen generell würden Sie aber konform gehen?

Christian Pfeiffer: Ja, Alterseinstufungen sind hilfreich, wenn sie korrekt gehandhabt werden. Wir sind allerdings zu dem Ergebnis gekommen, dass wir nur ein Drittel der USK-Einstufungen uneingeschränkt akzeptieren können. Bei etwa 40 Prozent finden wir die Einstufung falsch, eine Indizierung wäre in diesen Fällen meistens angebracht gewesen. Beim Rest hatten wir erhebliche Zweifel.

MAN!AC: Wie Sie vielleicht wissen, steht Deutschland im Europavergleich auf Platz 4, was die Umsatzzahlen anbelangt – nach England, Frankreich und Spanien. Eine Institution wie die BPjM gibt es dort nicht, auch ein so ausgefeiltes Alterskennzeichnungssystem wie das der USK fehlt in diesen Ländern. Der Jugendschutz in Deutschland ist im Vergleich sehr streng. Haben wir so viel Schutz nötig? Sind deutsche Jugendliche gefährdeter?

Christian Pfeiffer: Eindeutig! Sie sind gefährdeter, weil sie freie Nachmittage haben. Der große ­Unterschied zu den meisten anderen Ländern ist, dass wir keine Ganztagsschulen haben. Bei uns ist ab etwa 13 Uhr die Tür offen fürs Computerspiel. Mein Sohn zum Beispiel war ein Jahr in Neuseeland in einer Ganztagsschule und hat dort eine ganz andere Computerspielkultur kennen gelernt. Dort ist das mehr eine Wochenendaktivität. Die deutsche Computerspiel­kultur dagegen lebt vom Halbtagssystem und da liegt der Hund begraben.

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Ob jemand ein Spiel spielt, ein durchschnittliches Buch liest oder ein durchschnittliches Bild malt, ist kein grosser Unterschied.
Das menschliche Gehirn hat sich in 10.000 Jahren nicht gross weiter entwickelt. Ein Mensch von damals könnte ein Auto steuern. Und da liegt der Knackpunkt.
Die Gesellschaft dürstet es nach Sündenböcken.
Wenn der Mythos Normalität von der Realität abweicht, dann suchen wir wie die alten Griechen nach Sündenböcken (Pharmakoi oder Pharmakos). Früher waren das echte Menschenopfer.
Das können Minderheiten, Rassen oder eben Videospiele oder Filme sein. Ob 2000 vor Christus oder danach, völlig egal. Alles kann ein Sündenbock sein, wenn die kosmetische Darstellung reicht, und die Masse Befriedigung empfindet. Völlig egal, sie sind nur dem Wandel unterworfen, ändern ihr Aussehen.
Aberglaube und Einbildung sind die stärksten Antriebskräfte dafür. Egal ob einer Lehrer oder Richter ist.
Wir sind immer nach der Suche, das was uns stört, mit Sündenböcken zu erklären. So funktionieren wir. Das ist tragisch, aber menschlich.
Gewalt findet meiner Meinung nach in keinem Videospiel statt. Gewalt muss materiell sein, damit sie echt ist. Da sind nur virtuelle Modelle und Farben. Erst im Gehirn des Users entsteht der tatsächliche Eindruck. Das Lesen des Artikels hat Spass gemacht. Eben wieder Einbildung, durch die rechte Gehirnhälfte, glaube ich. So steht es bei Oliver Sacks. Darum fürchten wir uns auf bei Horrorfilmen, obwohl da nichts echt ist. 10.000 Jahre…
Und zur Zeitdauer. Wenn ich eine Sprache lerne, dann ändert sich mein Botenstoffhaushalt auch, oder wenn ich Holz hacke. Aber keiner käme auf die Idee, diese Vorgänge in einem bio neuro chemischen Vakuum ausdrücken zu wollen.
Und bei Spielen soll das auf einmal wichtig sein? Das wird nur gesagt, weil Spielen nicht so sinnvoll von der Gesellschaft angesehen wird, wie Sprachen lernen oder Holz hacken.
Wir sollten uns von diesen modernen Priestern nichts weiss machen lassen.
Die echten Schäden entstehen viel eher durch die jährlich erhöhte Selektion, in Neusprech gerne euphemistisch als “Bildung” betitelt. Durch diesen unmenschichen Leistungsdruck zerbrechen viele junge Schüler. Dieser als Normalität betitelter Wahnsinn produziert am laufenden Band Menschen, die den Druck auf tragische Art gegen sich oder andere entladen. Jahr für Jahr wird dies schlimmer. Das können wir uns nicht eingestehen, und küren darum stets unsere Sündenböcke.