Kriminologe Christian Pfeiffer im Gespräch

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(Ursprünglich erschien dieser Artikel in der MAN!AC 04/08)

Flegeljahre und Papiertiger: MAN!AC spricht mit dem Direktor des Kriminologischen ­Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) über Videospiele und Jugendschutz.

MAN!AC: Wie Sie vielleicht wissen, ist Ihr Name unter deutschen Computer- und Video­spielern eher berüchtigt als berühmt. Grundsätzlich dominiert in der Spielergemeinde der Eindruck, dass Politik und Wissenschaft miteinander diskutieren, ohne Ahnung von der Materie zu ­haben. Jugendliche hingegen nehmen Botschaften, die mit erhobenem Zeigefinger ausgesprochen werden, ohnehin nicht ernst. An wen richtet sich Ihre ­Arbeit? Wollen Sie die Politik in Aufruhr versetzen oder geht es für Sie um einen Beitrag zur Wissenschaft?

Christian Pfeiffer: Natürlich ist das, was wir erarbeiten, ein Beitrag zur Wissenschaft. Aber meine unmittelbaren Adressaten sind Kinder und Jugendliche. Ich habe in den letzten drei Jahren mit 30.000 Kindern und Jugendlichen in Schulveranstaltungen über unsere Forschungsergebnisse gesprochen. Das läuft meist in den Aulen ab, in denen ich Gruppen von etwa 250 Schülern unsere Forschungsergebnisse wie zum Beispiel den Einfluss von Computer- und Videospielen auf die Schulnoten vorstelle und mit ihnen diskutiere. Die Schüler erarbeiten die Erklärungen selbst, ich steuere meine Interpretation bei. Hauptzweck der Forschung ist die Aufklärung über die Probleme und Chancen der modernen Kommunikationsformen.

MAN!AC: Genau diese Einflüsse von Computer- und Videospielen interessieren uns. Wie informieren Sie sich eigentlich über ­Videogames?
Christian Pfeiffer: Zum einen haben wir hier im Institut 72 gewalthaltige Games (1) ­nachgespielt. Meist waren die Tester Männer zwischen 18 und 25 Jahren, die nach dem Durchspielen einen detaillierten, 15 bis 20-seitigen Bericht erstellten. Zweitens befragen wir Kinder und Jugendliche zu ihrer aktuellen Computerspiel-Nutzung: Im Moment laufen mehrere Befragungen mit über 50.000 Teilnehmern zwischen 10 und 19 Jahren. Ein Schwerpunkt ist dabei World of Warcraft und die davon ausgehende Suchtgefahr.

(1) – 72 Spiele?

Die Liste verrät: Das Spektrum der 72 Titel beginnt bei Spielen ab 12 Jahren (z.B. Soul Calibur 3) und reicht bis zu Games, die keine Kennzeichnung der USK bekommen haben. Neben PC-Shootern wie Far Cry oder Doom 3 entdeckten wir Konsolentitel wie Dead RisingMortal Kombat: Shaolin Monks oder Shellshock: Nam 67. Auch die deutsche Version von GTA: San Andreas sowie Tekken 5Metal Gear Solid 3 und Metroid Prime 2 tauchen auf. Auffälligerweise sind Titel wie F.E.A.R. oder Unreal Tournament 2004 sowohl als gekürzte wie auch als Originalversion vorhanden. Fazit: Eine repräsentative Auswahl virtueller Gewalt.

MAN!AC: Klammern wir das PC-Spiel World of Warcraft mal aus. Sie haben Testspieler, die einen umfangreichen Inhalts­bericht abgeben. Das unterscheidet sich ja nicht grundlegend von der Arbeitsweise der USK.

Christian Pfeiffer: Oh doch! Wenn Sie unseren Testbogen mit dieser einer halben bis drei Seiten umfassenden Inhaltsangabe der USK vergleichen – da sind Welten dazwischen. Die Tester der USK sind aus unserer Sicht extrem oberflächlich. Die Gutachter, die Spiele bewerten sollen, bekommen oft nur einen einseitig-positiven, verharmlosenden Eindruck davon, was in einem Computerspiel enthalten ist. Deswegen haben wir auf eigener Basis mit einem Analyse­bogen unsere Forschungen durchgeführt. Im Übrigen dokumentieren unsere Tester die entscheidenden Spielszenen auf Video, für jedes Spiel existiert etwa eineinhalb Stunden Filmmaterial.

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Ob jemand ein Spiel spielt, ein durchschnittliches Buch liest oder ein durchschnittliches Bild malt, ist kein grosser Unterschied.
Das menschliche Gehirn hat sich in 10.000 Jahren nicht gross weiter entwickelt. Ein Mensch von damals könnte ein Auto steuern. Und da liegt der Knackpunkt.
Die Gesellschaft dürstet es nach Sündenböcken.
Wenn der Mythos Normalität von der Realität abweicht, dann suchen wir wie die alten Griechen nach Sündenböcken (Pharmakoi oder Pharmakos). Früher waren das echte Menschenopfer.
Das können Minderheiten, Rassen oder eben Videospiele oder Filme sein. Ob 2000 vor Christus oder danach, völlig egal. Alles kann ein Sündenbock sein, wenn die kosmetische Darstellung reicht, und die Masse Befriedigung empfindet. Völlig egal, sie sind nur dem Wandel unterworfen, ändern ihr Aussehen.
Aberglaube und Einbildung sind die stärksten Antriebskräfte dafür. Egal ob einer Lehrer oder Richter ist.
Wir sind immer nach der Suche, das was uns stört, mit Sündenböcken zu erklären. So funktionieren wir. Das ist tragisch, aber menschlich.
Gewalt findet meiner Meinung nach in keinem Videospiel statt. Gewalt muss materiell sein, damit sie echt ist. Da sind nur virtuelle Modelle und Farben. Erst im Gehirn des Users entsteht der tatsächliche Eindruck. Das Lesen des Artikels hat Spass gemacht. Eben wieder Einbildung, durch die rechte Gehirnhälfte, glaube ich. So steht es bei Oliver Sacks. Darum fürchten wir uns auf bei Horrorfilmen, obwohl da nichts echt ist. 10.000 Jahre…
Und zur Zeitdauer. Wenn ich eine Sprache lerne, dann ändert sich mein Botenstoffhaushalt auch, oder wenn ich Holz hacke. Aber keiner käme auf die Idee, diese Vorgänge in einem bio neuro chemischen Vakuum ausdrücken zu wollen.
Und bei Spielen soll das auf einmal wichtig sein? Das wird nur gesagt, weil Spielen nicht so sinnvoll von der Gesellschaft angesehen wird, wie Sprachen lernen oder Holz hacken.
Wir sollten uns von diesen modernen Priestern nichts weiss machen lassen.
Die echten Schäden entstehen viel eher durch die jährlich erhöhte Selektion, in Neusprech gerne euphemistisch als “Bildung” betitelt. Durch diesen unmenschichen Leistungsdruck zerbrechen viele junge Schüler. Dieser als Normalität betitelter Wahnsinn produziert am laufenden Band Menschen, die den Druck auf tragische Art gegen sich oder andere entladen. Jahr für Jahr wird dies schlimmer. Das können wir uns nicht eingestehen, und küren darum stets unsere Sündenböcke.