Kriminologe Christian Pfeiffer im Gespräch

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MAN!AC: Das klingt alles sehr differenziert. Das vermissen wir oftmals in der Presse, wenn Ihre Position dargestellt wird.

Christian Pfeiffer: Ich kann Ihnen ein Beispiel geben. Frei erfunden hat die Computerspielszene beispielsweise behauptet, wir wollten als KFN die USK übernehmen, um endlich richtig Geld zu verdienen. Das sind destruktive Spinner, die sich so was ausdenken. Und von solchen Gerüchten gibt es jede Menge, die von Leuten in Umlauf gesetzt werden, die uns schaden wollen. Etwa, dass ich alle Kinder mit Verboten überziehen will. In jeder Veranstaltung frage ich die Kinder: ”Was haltet Ihr von Verboten?” Und die Kinder sind immer dagegen und ich sage: ”Prima, ich bin derselben Meinung. Ist doch alles Quatsch, Euch etwas zu verbieten, dann geht Ihr eben zum Nachbarsjungen und spielt dort die verbotenen Sachen. Nein, Eure Eltern müssen Euch zum Richtigen verführen, müssen ihren Hintern mal lüften und nicht selber fünf Stunden vor der Glotze hängen, ­sondern mit Euch was unternehmen.”

Aber damit müssen wir leben. Ich habe meine Abhärtung in der Zeit bekommen, als ich Minister (Anm. d. Red.: Justizminister in Niedersachsen, 2000-2003) war. Da lernt man auch, dass einem Dinge in den Mund gelegt werden, die man nie gesagt hat. Das juckt mich nicht ernsthaft.

MAN!AC: Bitte denken Sie 30 Jahre in die Zukunft: Werden Sie als Retter einer verwahrlosten Jugend gelten oder wird man Sie belächeln?

Christian Pfeiffer: Da es sich keine Gesellschaft leisten kann, dass Männer schulisch derart ins Hintertreffen geraten, vertraue ich auf die Eigendynamik der Interessen und dass unsere Botschaften über die leistungsgefährdende Computerspiel­kultur, die wir gegenwärtig haben, ernsthafter debattiert werden. Ich sehe mich in einer ähnlichen Rolle wie die ersten Wissenschaftler, die behauptet haben, dass Rauchen gefährlich sei. Die mussten anfangs auch Spießruten laufen, wurden von Kollegen und Medien angegriffen und setzten sich letztlich durch. Das wird hier ganz ähnlich laufen. Und ich bin mir da so sicher, weil wir nicht Meinungen, sondern Erkenntnisse produzieren – gut gemachte Wissenschaft setzt sich durch. Natürlich machen auch wir nicht alles gut. Auch wir machen mal Fehler – dann müssen wir uns eben korrigieren. Meine Prognose ist: In den nächsten 30 Jahren wird ein beträchtlicher Wandel der Computerspielkultur zu beobachten sein. Zwar wird es weiterhin Gewaltexzesse geben, wie sie für die Flegeljahre der Computerspielgeschichte typisch waren. Aber ich denke doch, dass wir aus den aktuellen Fehlern lernen werden in Richtung eines effektiveren Jugendschutzes, an dem die Industrie selber mit kreativen und interessanten Lösungen mitgearbeitet hat.

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Ob jemand ein Spiel spielt, ein durchschnittliches Buch liest oder ein durchschnittliches Bild malt, ist kein grosser Unterschied.
Das menschliche Gehirn hat sich in 10.000 Jahren nicht gross weiter entwickelt. Ein Mensch von damals könnte ein Auto steuern. Und da liegt der Knackpunkt.
Die Gesellschaft dürstet es nach Sündenböcken.
Wenn der Mythos Normalität von der Realität abweicht, dann suchen wir wie die alten Griechen nach Sündenböcken (Pharmakoi oder Pharmakos). Früher waren das echte Menschenopfer.
Das können Minderheiten, Rassen oder eben Videospiele oder Filme sein. Ob 2000 vor Christus oder danach, völlig egal. Alles kann ein Sündenbock sein, wenn die kosmetische Darstellung reicht, und die Masse Befriedigung empfindet. Völlig egal, sie sind nur dem Wandel unterworfen, ändern ihr Aussehen.
Aberglaube und Einbildung sind die stärksten Antriebskräfte dafür. Egal ob einer Lehrer oder Richter ist.
Wir sind immer nach der Suche, das was uns stört, mit Sündenböcken zu erklären. So funktionieren wir. Das ist tragisch, aber menschlich.
Gewalt findet meiner Meinung nach in keinem Videospiel statt. Gewalt muss materiell sein, damit sie echt ist. Da sind nur virtuelle Modelle und Farben. Erst im Gehirn des Users entsteht der tatsächliche Eindruck. Das Lesen des Artikels hat Spass gemacht. Eben wieder Einbildung, durch die rechte Gehirnhälfte, glaube ich. So steht es bei Oliver Sacks. Darum fürchten wir uns auf bei Horrorfilmen, obwohl da nichts echt ist. 10.000 Jahre…
Und zur Zeitdauer. Wenn ich eine Sprache lerne, dann ändert sich mein Botenstoffhaushalt auch, oder wenn ich Holz hacke. Aber keiner käme auf die Idee, diese Vorgänge in einem bio neuro chemischen Vakuum ausdrücken zu wollen.
Und bei Spielen soll das auf einmal wichtig sein? Das wird nur gesagt, weil Spielen nicht so sinnvoll von der Gesellschaft angesehen wird, wie Sprachen lernen oder Holz hacken.
Wir sollten uns von diesen modernen Priestern nichts weiss machen lassen.
Die echten Schäden entstehen viel eher durch die jährlich erhöhte Selektion, in Neusprech gerne euphemistisch als “Bildung” betitelt. Durch diesen unmenschichen Leistungsdruck zerbrechen viele junge Schüler. Dieser als Normalität betitelter Wahnsinn produziert am laufenden Band Menschen, die den Druck auf tragische Art gegen sich oder andere entladen. Jahr für Jahr wird dies schlimmer. Das können wir uns nicht eingestehen, und küren darum stets unsere Sündenböcke.