Kriminologe Christian Pfeiffer im Gespräch

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MAN!AC: Sie haben in einem Interview mit der ’Welt’ gesagt: ”Je brutaler die Spiele sind und je häufiger man sie spielt, ­desto schlechter sind die Noten.”

Christian Pfeiffer: Ja, das ist auch die Kernaussage unserer neuen Studie. Darin überprüfen wir die Hypothese ”Zu viel Medienkonsum macht Kinder dick, krank, dumm, traurig und teilweise auch aggressiv”. Wir haben den Body-Mass-Index und die Intelligenz von Schulkindern gemessen und festgestellt, dass sich Kinder ohne Spielkonsole und sonstige Bildschirmgeräte im Kinderzimmer von der körperlichen Fitness her deutlich besser entwickeln als Kinder, die eine solche Ausstattung haben.

MAN!AC: Aber kann man das Ganze nicht auch umdrehen und sagen: ”Dicke, dumme, faule Kinder und Jugendliche konsumieren eher Medien, weil sie da leichter Erfolge verbuchen”?

Christian Pfeiffer: Natürlich gibt es hier auch eine Wechselwirkung. Aber in Berlin führen wir ja keine Querschnittsanalyse durch, sondern eine echte Paneluntersuchung (6), bei der wir schon nach den ersten zwei Jahren feststellen können, dass die Verfügbarkeit über die Geräte die körperliche Fitness der Kinder negativ beeinflusst und ihre schulischen Leistungen beeinträchtigt. Zudem haben sowohl wir als auch amerikanische Kollegen durch Experimente den Nachweis dafür führen können, dass sich brutale Computerspiele im Vergleich zu entsprechenden Filmen belastender auf Konzentrationsfähigkeit und Opfersensibilität auswirken. Besonders auffällig ist, dass bei unserem Experiment diejenigen bei einem mathematischen Konzentrationstest am besten abschneiden, die vorher Sport getrieben hatten.

(6) – Forscherlatein

Kleiner Ausflug in die empirische Forschung: Querschnittsanalysen erheben nur einmalig Daten. Beispielsweise werden viele Menschen verschiedener Altersgruppen zum Thema Einkommen befragt. Paneluntersuchungen zählen hingegen zu den Längsschnittstudien, wo eine bestimmte Personengruppe über einen längeren Zeitraum immer wieder befragt wird. Dadurch lassen sich Veränderungen im Verhalten des Einzelnen erfassen. Pfeiffer führt in der Regel so genannte Korrelationsstudien durch, wodurch er zu Aussagen wie ”Je mehr gespielt wird, desto schlechter sind die Noten” gelangt. Diese Beobachtung mag zwar korrekt sein, allerdings lässt sich daraus nicht der kausale Zusammenhang ableiten, dass das Spielverhalten die Noten beeinflusst (oder umgekehrt). Ein Beispiel: Im österreichischen Burgenland wurde festgestellt, dass dort, wo mehr Störche leben, die Geburtenrate höher ist. Nun bringt der Storch aber nicht die Babys, vielmehr steckt dahinter eine gemeinsame Ursache: Störche leben vornehmlich auf dem Land, wo ganz einfach mehr Babys zur Welt kommen.

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Ob jemand ein Spiel spielt, ein durchschnittliches Buch liest oder ein durchschnittliches Bild malt, ist kein grosser Unterschied.
Das menschliche Gehirn hat sich in 10.000 Jahren nicht gross weiter entwickelt. Ein Mensch von damals könnte ein Auto steuern. Und da liegt der Knackpunkt.
Die Gesellschaft dürstet es nach Sündenböcken.
Wenn der Mythos Normalität von der Realität abweicht, dann suchen wir wie die alten Griechen nach Sündenböcken (Pharmakoi oder Pharmakos). Früher waren das echte Menschenopfer.
Das können Minderheiten, Rassen oder eben Videospiele oder Filme sein. Ob 2000 vor Christus oder danach, völlig egal. Alles kann ein Sündenbock sein, wenn die kosmetische Darstellung reicht, und die Masse Befriedigung empfindet. Völlig egal, sie sind nur dem Wandel unterworfen, ändern ihr Aussehen.
Aberglaube und Einbildung sind die stärksten Antriebskräfte dafür. Egal ob einer Lehrer oder Richter ist.
Wir sind immer nach der Suche, das was uns stört, mit Sündenböcken zu erklären. So funktionieren wir. Das ist tragisch, aber menschlich.
Gewalt findet meiner Meinung nach in keinem Videospiel statt. Gewalt muss materiell sein, damit sie echt ist. Da sind nur virtuelle Modelle und Farben. Erst im Gehirn des Users entsteht der tatsächliche Eindruck. Das Lesen des Artikels hat Spass gemacht. Eben wieder Einbildung, durch die rechte Gehirnhälfte, glaube ich. So steht es bei Oliver Sacks. Darum fürchten wir uns auf bei Horrorfilmen, obwohl da nichts echt ist. 10.000 Jahre…
Und zur Zeitdauer. Wenn ich eine Sprache lerne, dann ändert sich mein Botenstoffhaushalt auch, oder wenn ich Holz hacke. Aber keiner käme auf die Idee, diese Vorgänge in einem bio neuro chemischen Vakuum ausdrücken zu wollen.
Und bei Spielen soll das auf einmal wichtig sein? Das wird nur gesagt, weil Spielen nicht so sinnvoll von der Gesellschaft angesehen wird, wie Sprachen lernen oder Holz hacken.
Wir sollten uns von diesen modernen Priestern nichts weiss machen lassen.
Die echten Schäden entstehen viel eher durch die jährlich erhöhte Selektion, in Neusprech gerne euphemistisch als “Bildung” betitelt. Durch diesen unmenschichen Leistungsdruck zerbrechen viele junge Schüler. Dieser als Normalität betitelter Wahnsinn produziert am laufenden Band Menschen, die den Druck auf tragische Art gegen sich oder andere entladen. Jahr für Jahr wird dies schlimmer. Das können wir uns nicht eingestehen, und küren darum stets unsere Sündenböcke.