Filmzirkel Filmbesprechung
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ChrisKong vor vor 10 Jahren, 7 Monaten aktualisiert.
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10. August 2014 um 15:11 #1178576
ChrisKong
TeilnehmerErstmeinung zu Master and Commander
Nach dem ich den Streifen grad gesehen habe, will ich nun meine frischen Eindrücke zum besten geben. Ist ja leider schon eine halbe Ewigkeit her, als ich den das letzte Mal gesehen habe.
Was ich erwarten durfte, war ein spannendes Abenteuer zu See. Und genau das kriegt man hier. Nicht mehr und nicht weniger.
Das Leben auf und unter Deck wird sehr ausführlich dargestellt, was sich positiv abhebt von anderen Seeabenteuern. Überhaupt wird den Charakteren sehr viel Platz eingeräumt.
Aber ich wäre ja nicht Kong, wenn ich nicht doch Kritikpunkte finden würde. ^^
Fangen wir mit der Bedrohung an. Einerseits haben wir hier ein bisschen Roter Baron Thematik gemixed mit Fliegendem Holländer, andererseits wirkt dafür das Schiff dann doch zu wenig bedrohlich, mMn.
Hier fehlts dann an Gegenspielern, auf die man eigentlich bewusst verzichtet hat. Kann man so machen, aber lässt das ganze dann irgendwie einseitig erscheinen. Filme mit solchen Strategie-Duellen verlangen da einfach nach einem Gegenpart und der fehlt hier völlig. Mir ist schon klar, ist eine Romanreihe und Lucky Jack der Held. Aber wo ein Held ist, da auch ein Schurke. Zumindest gibts den in so gut wie jedem Historienabenteuer mit Kampf- und Kriegsschauplatz.
Dass der Franzosencapitän Jack dann nochmals austrickst ist natürlich dann raffiniert gemacht. Das wäre so dann nicht möglich gewesen, um das Publikum zu überraschen. Dennoch hätte ich mir da ein Duell auf Augenhöhe gewünscht, anstatt mit der Dämonisierung eines Schiffes hausieren zu gehen.
Man hätte ja den Franzosen einfach weniger Platz einräumen können, trotzdem hätte das für mich besser funktioniert, aus dem einfachen Grund, da der Film eh besonderen Wert auf die Figuren legt, wäre da ein entsprechender Gegenpart halt sinnvoll gewesen.Der Film bedient allerdings auch haufenweise Klischees, das könnte man ihm ankreiden, aber wie ich eingangs schon erwähnte, so ist dies ein Abenteuer auf hoher See und da erwartet man eben, solche Klischees anzutreffen.
So wirken einige Figuren halt wie die üblichen Abziehbilder. Ganz generell dürfte die Crew ein wenig farbiger sein, sprich ein wenig mehr Charakter zeigen. Der erste Offizier bleibt z.B. absolut farblos. Und auch sonst tut sich im Führungsstab kaum jemand hervor, oder sagen wir es so, nichts, was man nicht woanders schon bessser gesehen hätte.Ich kann mir vorstellen, dass das mit diesen ganzen Hänflings-Offizieren sogar akkurat sein könnte, da, soweit ich weiss, eh nur Offizier werden kann, wer einen gewissen Stand besitzt. Das bringt dann solche jungen Schnösel und Emporkömmlinge hervor. Im Film finde ich es leider so, dass die mir aller irgendwie zu gelackt vorkommen.
Die Jonas Thematik fand ich von der Idee her gut, aber es wirkt irgendwie so schnell abgehandelt, dass es wie Füllmaterial daherkommt. Und auch so werden innere Konflikte schnell und einfach gelöst, das wirkt wenig glaubwürdig.
Also insgesamt reisst der Film ziemlich viel an, ohne es konsequent zu einem Ganzen miteinander zu vermengen, damit es mehr Sinn ergibt. Eher hab ich den Eindruck, he, welches Klischee haben wir noch nicht abgearbeitet, welches nehmen wir als nächstes. Darum lässt der Film irgendwie auch eine dramaturgische Struktur vermissen.
Entschädigt wird man dafür mit brachialen Kampfszenen und einem gut aufspielenden Bettany/Crowe Doppelpack. Wobei mir die Figur des Arztes zu schnell resigniert. Da hätte mehr Pfeffer in der Beziehung liegen können.
Bleiben unterm Strich ein paar unterhaltsame Stunden auf See, wo aber sicher auch mehr dringelegen wäre. Wie gesagt, entweder die Acheron deutlich gefährlicher und mystischer sein lassen oder aber der Gegenseite ein Gesicht geben.
11. August 2014 um 6:55 #1178577Anonym
InaktivNa dann wollen wir mal …
@Chris:
Was den bedrohlichen Gegenspieler anbelangt, da hast Du nicht ganz Unrecht, der hat gefehlt … oder zumindest eine persönliche Geschichte zwischen den beiden Kapitänen.
Problem ist nur, wenn der Franzmann jetzt auch noch Screentime bekommen hätte, dann wären wir bei guten drei Stunden Laufzeit angekommen …Was die gelackten Offiziere oder Offiziersanwärter angeht, so kann das schon irgendwie von deren Hintergründen her stammen. Lass sie wenigstens aus verarmten Adel stammen, dann haben sie zumindest eine höhere Bildung als der normale Arbeiter zu der Zeit.
Mystisch hätte es meiner Meinung nach aber nicht werden dürfen. Gibt schon genug Filme, wo alles mit “ist halt übernatürlich, deswegen” erklärt wird.
@ghostdog:
Was den Logikfehler betrifft, so glaube ich schon, dass nur die Offiziere wirklich gebrieft wurden. Es reicht ja, wenn die Matrosen im Krähennest Alarm geben, wenn sie ein Schiff sehen.
Was mich hingegen im Nachhinein verwirrt, ist die Tatsache, dass sie auf so wenig andere Schiffe gestoßen sind. Entweder waren sie recht weit draußen und außerhalb der üblichen Routen oder das wurde nicht bedacht, denn prinzipiell war auch schon zu dieser Zeit verdammt viel los auf dem Wasser. So wurden auch Informationen schnell getauscht und transportiert – zumindest, wenn mich mein historisches Faktenwissen nicht hängen läßt.11. August 2014 um 9:44 #1178578tetsuo01
TeilnehmerAlso gut… an und für sich guter Film Die Darstellung des Arbeitsaltages auf einem Segelschiff gefällt mir gut. Mir gefällt vor allem das Verhältniss der tw äusserst jungen Offizierschaft und der eingschworen älteren Manschaft von normalem bis niedrigerem Rang. Der darwinistisch inspirierte Part von Paul Betany hat mich kalt gelassen. Crow spielt souverän mit seiner üblichen Miene.
11. August 2014 um 18:26 #1178579ghostdog83
TeilnehmerFilm gerade zu Ende gesehen. Aufgrund der Frist nur eine Kurzform:
Weder Fisch noch Fleisch – der Film scheint sich nicht entscheiden zu können, was er eigentlich sein will,
für ein klassisches Spannungskino ist die Erzählweise zu behebig, für eine anspruchsvolle Erzählung wiederum zu oberflächig.Die Charakterkonstellation konzentriert sich dabei klar auf die beiden Stars Russel Crowe (ca. 70 min. Screentime) und Paul Bettany (ca. 56. Min.), deren Konflikte auf mehreren Ebenen ausgetragen werden, dabei aber nur an der Oberfläche kratzen, sich gegen Ende zu schnell in Wohlgefallen auflösen, wobei hierbei der Charakter Stephen nicht so gut abschneidet, der sich ohne Zögern aktiv an dem Kampfgeschehen beteiligt. Hier hätte ich mir ein etwas stärkeres inneres Zerwürfnis gewünscht, bevor so ein eher humanistisch geprägter Charakter sich zu diesem Entschluss entscheidet.
Ansonsten bleiben als näher beleuchtete Charaktere William Blakeney, der von dem später in Rome mitspielende Schauspieler Max Pirkis (ca. 17 Min.) verkörpert wird und Midshipman Hollom, gespielt von Lee Ingleby (ca. 10 Min.), übrig. Die restliche Besetzung nimmt im besten Fall eine erweiterte Statistenrolle ein, wodurch deren Schicksal mir gleichgültig war.
Die Inszenierung ist nach wie vor hervorragend, ich hatte den Film bei Erscheinen im Kino das erste Mal mir angesehen.
Die Schnitte sind in einigen Stellen besonders gut gesetzt, z.b. der Wechsel zwischen Jack und Stephen ab Minute 69, wie sie abwechselnd bei ihrer Beschäftigung gezeigt werden, er bei der Vorbereitung des Schiffes auf den bevorstehenden Kampf, Stephen beim Fischfang, Untersuchung seines gefangenen Forschungsobjektes, bei anschließlichender Resignation kein Buch lesen zu können und Jack Siegespose nach erfolgreicher Vorbereitung.
Kleine Logikfehler sind mir während der Sichtung aufgefallen, so z.b. die Meldung der beiden Matrosen, die Acheron von früher zu kennen – warum geben diese die Information nach über 7 Wochen erst an Jack weiter, nachdem man zum ersten Mal auf das Schiff trifft, wurde die Mannschaft auf das Ziel nie instruiert, erhalten nur die Führungsoffiziere ein Briefing der Miessionziele, und warum ist die englische Spionage nicht in der Lage eine solche Information zu erhalten, wenn es auch den einfachen Leuten gelingt.
Insgesamt gefällt mir der Film nach wie vor gut.
Wenn die Möglichkeit besteht, würde ich weitere Gedanken ergänzen, wenn ich mehr Zeit habe.
12. August 2014 um 19:08 #1178580ghostdog83
TeilnehmerErgänzungen:
In der Gesamtbetrachtung hat der Film einen episodenhaften Charakter, der durch das Ende noch einmal hervorgehoben wird, als sich der vermeindliche Arzt der Acheron als deren Kaptain entpuppt und somit ein neues Kapitel aufgeschlagen wird welches als Ausklang der Filmhandlung dient, was mir im übrigen sehr gefallen hat.
Die Dialoge abseits der 4 Hauptprotagonisten sind sehr handlungsorientiert, mit wenigen Ausnahmen, wie das mürrische Verhalten des Dieners Killick der immer einen Spruch (und das letzte Wort) auf den Lippen hat, somit noch zu den einprägsamsten Nebenfiguren gehört sowie Joseph Nagle der in Hollom einen Katalysator sieht, um seine Trauer und Wut freien Lauf zu lassen oder der Aberglaube der Crew (Jonas, Phantom), die Bewunderung und Glorifizierung von Jack und Admiral Nelson. Ansonsten bleibt die Crew eine Masse ohne all zu klare Konturen. Der erste Offizier verkommt fast zum reinen Stichwortgeber, erhält gegen Ende ein klein wenig mehr Leinwandpräsens.
Auch wenn die Crew im Film eine eingeschworene Gemeinschaft bildet, hätte ich mir doch etwas mehr Konfliktpotenzial zwischen der einfachen Mannschaft und der Führungscrew gewünscht, die Hollom Nebenhandlung bildete da die Ausnahme. Diese war vom Aufbau her nicht schlecht, wurde sie doch bereits von Anfang an eingeführt, als Hollom Führungsschwäche bewies, später beim Einstimmen eines Liedes von der Crew die kalte Schulter gezeigt bekam, oder bei der späteren Aufgabe aus Furcht versagte was zu dem Konflikt mit Nagle führte, die Crew in ihm den Jonas sah, seine Selbstzweifel weiter nährten, was ihm in den letztendlichen Selbstmord trieb.
Bezeichnend ist die eine Szene, bei der die Crew feiert, in der Blakeney trotz seiner Amputation fröhlicher wirkt als der körperlich gesunde Hollom.
Dessen Handlung empfand ich als nicht so sonderlich interessant, obwohl er mehr Screentime hatte als Hollom, erst gegen Ende, als er Szenen mit Stephen hatte, wurde seine Geschichte interessanter, mit einigen schönen Dialogen – “Vielleicht wäre es möglich, dass ich beides vereine und ein forschender Soldat werde so wie sie Sir” – “Ich weiß nicht, ob sich das so gut verträg”.Was ich bei der Freundschaft zwischen Jack und Stephen schade fand, war das Fehlen einer Vorgeschichte, wie diese überhaupt zustande kam, da beide doch in ihrer Weltauffassung sehr unterschiedliche Personen sind. Hat die Liebe zur Musik diese Freundschaft genährt oder kannten sie sich schon vor ihrer Zeit auf der Surprise. Das beide nun schon seit langer Zeit auf dem Schiff Dienst tun kann nicht der einzige Grund sein, da auch einige der anderen Führungsoffiziere Jack seit Langem kannten, diese aber bei vertraulichen Gesprächen nicht mit einbezieht.
Auch wenn das Konflikt Potenzial nicht ausgeschöpft wurde, die Szenen waren mir etwas zu kurz, die Auflösung gegen Ende etwas zu schnell, war deren Disput das Highlight bei der Charakterdarstellung. Jack, der loyal pflichtbewusst gegenüber seinem Land ist, Stephen, der sich gegen die Tyrannei der herrschenden Klasse auflehnt, diese nur widerwillig akzeptiert (ansonsten würde er auf dem Schiff nicht dienen), die Freiheit des Menschen als oberstes Gut ansieht, die durch keine Tyrannei unterdrückt werden darf. Da der Konflikt zwischen den Beiden sowohl auf beruflicher wie freundschaftlicher Ebene stattfindet, somit interessant bleibt, beide Schauspieler sich dank dem guten Material nur die Bälle zuwerfen müssen, sind hier die mit denkwürdigsten Szenen zu finden.
Was das Tempo angeht, so hatte ich den Eindruck, dass jede Szene für sich genau passend abgestimmt war. Bei kritischen Situationen, wie stürmischer See oder Kampfhandlungen, war das Tempo relativ hoch, mit vielen Schnitten, während bei alltäglichen Szenen der Crew das Tempo oft spürbar heruntergefahren wurde. In solchen Szenen stand der monotone und trostlose Arbeitsablauf der Crew im Vordergrund, der nicht anders hätte dargestellt werden können. Weir, dessen frühere Filme schon nicht immer massentauglich waren (z.b. Picknick am Valentinstag war ein für mich doch zäher Film), wollte mit dem Film eine möglichst realistische Darstellung der Seefahrt zu der damaligen Zeit schaffen ohne viele künstliche Spannungsmomente. In dem Punkt hat er sein Ziel aus meiner Sicht erreicht, denn auch wenn mein Wissen auf dem Gebiet eher gering ist, macht der Film da einen Runden Eindruck.
Die Feinddarstellung ist im Kontext der Handlung für mich akzeptabel, zum einen aufgrund des Twists zum Schluss, zum anderen wegen der Laufzeit, aber hauptsächlich aufgrund des Fokus auf eine einzige Schiffsbesatzung, die in ihrem Alltag gezeigt werden soll. Die Handlung auf einen einzigen Handlungsort zu festigen hilft mir dabei ein besseres Gefühl für das Gefüge dieser Crew und die Stimmung an Bord zu gewinnen.
Eine Nebenhandlung mit zusätzlichem Schauplatz (Feindschiff) hätte die Stimmung womöglich verändert, die Leinwandpräsenz der Protagonisten gemindert (ohne Kompensation durch Verlängerung der Laufzeit). Bei einem actionsorientierten Blockbuster Film hätte ich aber so etwas erwartet. Hier wäre das Wissen des Zuschauers, wer der wahre Kapitän ist ein zusätzlicher Spannungsbogen zum Schluss gewesen.
Die schauspielerische Leistung ist insgesamt sehr überzeugend, aber gemessen an dem Drehbuch auch nicht wirklich eine große Herausforderung für die Schauspieler, die Dialogszenen sind oft kurz gehalten (mit Ausnahme der beiden Abendmahlszenen), dafür werden die Schauspieler aber auch mal stärker physisch gefordert. Die Kampfszenen zum Schluss auf dem Kanonendeck der Acheron haben mir nicht so gut gefallen, die einstudierten Bewegungen sahen zum Teil etwas steif und unbeholfen aus, auch mit Berücksichtigung der schwierigen Bedingungen unter Deck.
Die barockische Musikuntermalung hat mir sehr gefallen, wurde diese doch auch sehr gut in den Szenenübergängen mit eingebunden und hat zu der allgemeinen Stimmung in den ruhigen Momenten gut eingefangen.
8 von 10
20. August 2014 um 9:35 #1178581Anonym
InaktivPassiert hier noch was?
2. September 2014 um 9:41 #1178582Ullus
TeilnehmerÄhhhmmm, was ist hier denn los, verfolgt niemand mehr den Filmzirkel ?
Ausgerechnet Tinker, der den Master und Commander mit Eifer vorgeschlagen hat meldet sich überhaupt nicht mehr, nicht gerade kollegial gegenüber den anderen.
2. September 2014 um 10:00 #1178583ChrisKong
TeilnehmerVielleicht halt nicht wirklich ein diskussionswürdiger Film. Ein Seeabenteuer schlicht und einfach. Mir fällt eigentlich auch nicht viel mehr ein, als was ich dazu geschrieben hatte.
Dachte, dass andere vielleicht noch was finden. Ist ja nicht weiter tragisch. Aber ja, wenn man den Film vorschlägt, dann sollte man da auch an der Diskussion teilnehmen, mMn.
Denke dann gehen wir dann halt mal eine Runde weiter.
21. September 2014 um 12:34 #1178584ghostdog83
TeilnehmerThe Straight Story (1999)……10 von 10
Nachdem ich mir vor einigen Wochen bereits Twin Peaks – Der Film angeschaut habe, ist das nun schon der zweite David Lynch Film in kürzester Zeit – und was für einer!
Die Geschichte um den 73-jährigen Rentner Alvin Straight ist eine großartig emotional bewegende Reise verbunden mit Anekdoten aus seinem früheren Leben und den Entbehrungen, die das Älterwerden mit sich bringen, die ein Teil der Ursache sind, dass die mühsame Strapaze ihren Anfang nimmt.
Ein Film der weniger auf dem Mainstream zugeschnitten ist, was bei Lynch kaum überrascht, der womöglich mit seinem Tempo, der mangelnden Spannung einige Zuschauer auf eine ähnliche Reise schicken wird, wie sie Alvin wiederfährt.
Aber das ist zum Glück auch gut so – der Film lebt von seiner Behäbigkeit, seiner ruhigen Natur, getragen durch die schönen Landschaften Iowas und Wisconsins, der großartigen Kameraarbeit Freddie Francis, die Teil einer der seltsamsten Einführungen einer Hauptperson ist, als Alvin, vom Zuschauer ungesehen, stürzt und der stimmungsvollen Musik, die in einigen Szenen fast schon an Ennio Morricone erinnert.
Am stärksten sind aber die Schauspieler, natürlich allen voran Richard Farnsworth – an der Stelle möchte ich die Frage nach dem Schauspiel, wie viel davon er selbst ist und wie viel gespielt, Außen vor lassen – der den Film mit seiner schwermütigen, nachdenklichen Art mit Leichtigkeit trägt.
Der Film vermittelt starke positive Werte wie Hilfsbereitschaft, familiärer Zusammenhalt (“Ein Bruder ist ein Bruder”) und Entschlossenheit – was im Falle von Alvin auch als Sturheit ausgelegt werden kann, so wie er es selbst beschreibt. Aber eine solche Strapaze hinter sich zu bringen ist allein durch Sturheit nicht zu bewältigen sonder nur durch einen starken Willen (und etwas Hilfe).
Szenen, die mir besonders gut gefallen haben, sind fast ausnahmslos die Zwischenmenschlichen wie die eine mit der Anhalterin, die mit den anderen Weltkriegsveteran oder die am Schluss des Filmes, als sich die beiden Brüder nach über 10 Jahren das erste Mal wiedersehen – großartige starke Momente.
Die Handlung beruht auf einer wahren Geschichte, was die Frage nach der Schlüssigkeit bezogen auf den Filmhandlung bzw. dem Drehbuch selbst zu keinen wirklich diskutierbaren Punkt macht.
Das Verhalten von Alvin ist wie bereits angesprochen ein zum Teil auf Sturheit Basierendes, was die Szene am Anfang beim Arzt bereits frühzeitig belegt – er schlägt alle guten Ratschläge in den Wind, raucht eine Szene danach bereits die nächste Zigarre. Auch die Ratschläge bzgl. seiner Reise werden von ihm missachtet. Die Charakterisierung und das daraus resultierende Verhalten fügen sich schlüssig ineinander.
Was mir bei der Sichtung noch in dem Sinn kam, war, dass ich den Film in der ersten Hälfte gedanklich mit Die Gefährten in Verbindung brachte, als Frodo das Auenland verlassen musste um auf Reise zu gehen – nur das Alvin in dem Fall zwei Versuche benötigte^^
Insgesamt ein wirklich großartiger Film, der aus meiner Sicht handwerklich keine Schwächen vorzuweisen hat, der mich gepackt und berührt hat, der mit Gewissheit noch einige Male angeschaut wird – und der von mir eine klare Empfehlung für meinen Bruder bekommt!
(Nicht das es da irgendwelche Zwistigkeiten gäbe).21. September 2014 um 13:26 #1178585ChrisKong
TeilnehmerDieser Film hebt sich deutlich von den Werken ab, die man mit Lynch in Verbindung bringen würde, da er, wie der Titel so doppeldeutig aussagt, halt ziemlich straight ist.
Die eigentliche Langsamkeit ist eigentlich eins der Kernelemente. So wird Alvin versinnbildlicht mehrmals auf seinem Weg überholt.
Der erste Akt erscheint mir wie eine Allegorie auf die Metapher des vom Pferd Fallens und Wiederaufstehens. So missglückt Alvins erster Versuch mit seinem Rasenmäher Fahrt aufzunehmen, seinen Hut windets davon. Beim zweiten Anlauf klappts besser, sogar den Hut hält er diesmal fest.Was aber deutlich die Handschrift Lynchs trägt, das sind die zahlreichen, teils verschrobenen Figuren, denen Alvin begegnet, nicht zu vergessen seine leicht retardierte Tochter Rosie, deren Eigenheiten Alvin von Zeit zu Zeit ein Schmunzeln abringen.
Zum einen wäre da die hysterische Frau, die ein Reh anfährt. Hier erschliesst sich mir aber nicht so ganz, was dieser Einschub sollte, wirkt mehr wie ein, oh, die letzten 5 min war noch kein Irrer zu sehen, da müssen wir noch was einbauen.
Im Gegensatz zu seinen anderen Begegnungen erfährt man hier nämlich nichts über Alvin, was die Szene mE ein wenig überflüssig macht.
Anders sieht es da mit der schwangeren Tramperin aus, die vor ihrer Familie davongelaufen ist. Hier spürt man deutlich heraus, dass Alvin es auch vorgezogen hat, einem klärenden Gespräch auszuweichen.
Der Verkäufer des Greifhakens, die Mechanikerzwillinge und eben jene Frau, die ein Reh überfahren hat, würde ich als Lyncheske Charaktere bezeichnen.
Zwischendrin erfährt man in einer Begegnung auch von einem einschneidenden Kriegserlebnis Alvins. Und dies macht seine Beichte mehr denn davor zum Läuterungsweg. Deswegen besteht er unter anderem so beharrlich drauf, diesen Weg alleine beschreiten zu müssen.
Ist natürlich typisch für Road Movies, dass der Weg das Ziel ist. Die Fahrt eine Form der Katharsis darstellt, an dessen Ende er nach innerem Frieden strebt, der Versöhnung mit seinem Bruder.Bezeichnend, dass es viele ruhige Momente in dem Film gibt, wo eben diese ausdrucksstarke Mimik von Farnsworth mehr aussagt, als es Worte könnten. Dies spiegelt sich auch gut beim Treffen mit seinem Bruder wieder. Der erkennt mit einem Blick auf das Gefährt von Alvin, dessen Strapazen. Und merkt dabei, wie wichtig er seinem Bruder ist, dass dieser eben jene auf sich genommen hat.
Ohne gross diese Wertschätzung in Worte einzubetten, endet dann der Film.Die Musik bleibt recht unaufgeregt, das Haupthema meldet sich immer wieder mal, so natürlich auch am Schluss.
Bleibt unterm Strich ein Film, der untypisch für Lynch, nicht hinter irgendwelche Fassaden einer Kleinstadt oder so blickt und in menschliche Abgründe, was sehr ungewohnt ist, für seine Verhältnisse. Kann daher auch durchaus als sein optimistischster Film angesehen werden. Zu schade, dass er nach Mulholland Drive nix gscheites mehr zustande gebracht hat. Lynch besitzt definitiv eine Gabe, gewisse Elemente des Menschseins, in seiner Komplexität besser zu begreifen, als viele andere, z.B. die Träumerei (Mulholland Drive)
Insgesamt hat er mir gefallen, aber mehr wegen Farnsworth’ Schauspiel. Inszenierung fand ich Mittelmass, und viel Stoff liefert die Geschichte jetzt auch nicht.
5. Oktober 2014 um 16:24 #1178586ghostdog83
TeilnehmerSzene: Die Unfallfahrerin – ‘Deer Woman’, Barbara Robertson, 56:38 Min.
“No, you can’t help me. No one can help me.
I’ve tried driving with my lights on, I’ve tried sounding my horn! I scream,
I roll the window down and bang on the door and play Public Enemy real loud!
I’ve prayed to St Francis of Assisi, St Christopher too! What the heck!
I’ve tried everything and still every week I hit at least one deer!
I have hit 13 deer in seven weeks driving down this road!
And I HAVE to drive down this road every day, 40 miles to work and back.
I HAVE to drive to work and I HAVE to drive home!
Where do they come from?
Oh…he’s dead.
And I LOVE deer.”Zunächst einmal muss ich zu dieser Szene sagen, dass ich etwas irritiert war, aufgrund des Kamerazooms, der den Unfallhergang wiederspiegeln soll, der mich an die Filme der Shaw Brothers erinnert hat. Im vgl. zu der sonstigen Kameraarbeit fällt diese Einstellung etwas aus dem Rahmen, wirkt seltsam – was als Einleitung für den nun folgenden hysterischen Monolog der ‘Deer Woman’ wohl vorgreifen soll.
Diese Szene dürfte die schwierigste zu interpretierende im gesamten Film sein. Mir war zunächst auch nicht klar, was Lynch damit bezweckt hat.
Ich habe mir daher die entscheidenden Szenen mit Alvin ein weiteres Mal angeschaut sowie einige der Nebenfiguren (Rose), um daraus einen Ansatz herleiten zu können.Die Szene mit der Anhalterin, den Radfahrern, dem Kriegsveteranen, den Zwillingen und dem Priester sind jeweils durchsetzt mit der Lebensweisheit und der persönlichen Geschichte Alvins.
Im vgl. dazu wirkt die ‘Deer Woman’ Szene zunächst unnötig, sie trägt offenkundig nichts zu der Charakterisierung Alvins bei oder spielt für den Handlungsverlauf keine wesentliche Rolle – die Verwertung des Unfallwilds ist für sein Weiteres vorankommen unerheblich.
Man könnte tatsächlich meinen, Lynch wolle nur einen weiteren verschrobenen Charakter als Stilmittel einbauen, oder wie du es so schön formulierst “oh, die letzten 5 min war noch kein Irrer zu sehen, da müssen wir noch was einbauen.”^^
Doch wenn wir uns die Szene mit dem Kriegsveteranen anschauen, wo Alvin von seinem Kriegserlebnis berichtet, fallen gewissen Parallelen zu der ‘Deer Woman’ auf.
Beide haben eine Verpflichtung – sie ihren Job, er den Dienst für das Vaterland im Krieg, beide müssen um ihr Ziel zu erfüllen bestimmte Opfer bringen.
Bei ihr besteht dieses darin täglich viele Kilometer zur Arbeit zurücklegen zu müssen und dabei ständig Gefahr zu laufen, einen Wildschaden zu verursachen – was sie tief bedauert, dass sie Rehe liebt, wie sie selbst sagt (“And I LOVE deer.”). Gleichzeitig scheint der Tod der Tiere sie auf eine gewisse Art abzustumpfen, sie fährt nach Feststellung des Todes weiter als wäre nichts geschehen.
Das Opfer was Alvin aufbringen muss um seine Aufgabe zu erfüllen, ist das bewusste Töten anderer Menschen, später auch sehr junger, sowie die nicht beabsichtige Tötung seines Kameraden.
Diese Situation muss für Alvin sehr traumatisch gewesen sein, was seine Trinkprobleme nach dem Krieg erklärt, welche er mit nach Hause gebracht hat. Die Frau scheint in einer ähnlichen Situation zu sein, selbst traumatisiert durch die nicht gewollte Tötung der von ihr geliebten Tiere.
Beide sind in ihrer Situation gefangen, sie, weil es dazu dient, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, er, weil es seine Pflicht war, im Krieg zu dienen.
Womöglich hat dieses Erlebnis mit der Autofahrerin ihm an seine eigene Situation damals im Krieg erinnert – sie könnte, neben der eigentlichen Selbstläuterung bzgl. seines Zwists mit seinem Bruder, zusätzlichem Schub gegeben haben sich dem anderen Veteranen zu offenbaren. Vielleicht hatte er es sowieso vor, zumindest lässt seine in sich Gekehrtheit nach der Unfallszene und der damit verbundenen leichten Variation bei der Musik, die etwas nachdenklich anmutet, darauf schließen, dass er sich damit in dem Moment auseinandergesetzt hat.
Die ‘Deer Woman’ Szene ist auch die Einzige, die sich für mich kalt und rau anfühlt.
Die Frau kann Alvin im Gegensatz zu den anderen Charakteren keine Hilfe anbieten, sie braucht selbst welche, auch wenn sie behauptet ihr könne nicht geholfen werden – daraus schließe ich ebenfalls, dass er sich in dem Fall selbst helfen muss, diese Begegnung soll daran erinnern, was auf seinem Weg zur Läuterung noch offen ist. Die Szene soll Alvin ein letztes Mal aus seiner lieb gewonnenen Realität, mit der er sich anrangieren konnte, herausreisen, zumindest hebt sich diese stark von den übrigen Szenen im Film ab was die Stimmung betrifft.Was mir sonst noch aufgefallen ist – die Autofahrerin erinnert mich etwas an seine Tochter.
Beide schleppen Probleme mit sich rum, Rose den Verlust ihrer ihr wegegenommen Kinder, die Unfallfahrerin die mit der Arbeit verbundenen täglichen Strapazen, die sich psychisch auf beide mehr oder weniger stark auswirken.6. Oktober 2014 um 17:13 #1178587ChrisKong
TeilnehmerInteressanter Aspekt. Die Analogie zum Soldentum, wie du es schilderst scheint tatsächlich sinnig. Wäre mMn eine gelungene Interpretation. Aber ich weiss wirklich nicht, ob Lynch dabei soweit gedacht hat.
Aber vom menschlichen Hintergrund her, scheint mir diese Irrationalität durchaus als Parabel auf das Schicksal von Soldaten zu taugen. Wenn diese Reise einzelne Blickwinkel auf Alvins innere Gefühlszustände sind, dann kann dies durchaus so sehen, dass Alvin sich so im Krieg gefühlt haben könnte. Wir sehen ja nur den finalen Alvin und nichts aus seiner Vergangenheit.
Die Kameraarbeit fand ich insgesamt halt eher unspektakulär, die Bildsprache als solches auch. Da liefert mir ein Reflecting Skin halt einfach mehr. Eigentlich verlässt sich Lynch gänzlich auf Farnsworth ohne gross zu stilisieren, so in der Art, wir konfrontieren jetzt Alvin mit verschiedenen Situationen und sehen, wie er sich verhält und was das über ihn verrät. Kann mich jetzt nicht erinnern, aber gabs überhaupt Szenen, wo Alvin nicht das Thema war oder zumindest anwesend? Vielleicht zu Beginn?Im Übrigen könnte ich das, was ich über die Kameraarbeit gesagt habe, auch über die Musik sagen. Ich liebe ansonsten Badalamentis Werk, aber das ist mir irgendwie zu behäbig und belanglos.
Ich verlang nicht mal grosse Dramatisierung, man kann auch mit spärlich eingesetzter Musik Stimmung erzeugen, z.B. in einer flog über das Kuckucks Nest, wo die Musik eben auch zum Gesamtbild beiträgt. -
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