Zuerst die gute Nachricht: Lollipop Chainsaw ist so verrückt, blutig und sexy geworden, wie wir erwartet haben. Nun die schlechte: Diese Punkte gelten allein für die Optik, die nackte Spielmechanik ist so brav und einfallslos, sie könnte mit Schlips und Kragen bei Omi am Mittagstisch sitzen und Kohlrouladen futtern.
Bevor wir ans Eingemachte gehen, hier die Eckdaten der klischeebeladenen Hintergrundgeschichte: Cheerleaderin Juliet (sexy, aber züchtig) muss an ihrem 18. Geburtstag feststellen, dass ihre Schulkameraden in Zombies verwandelt wurden. Wie gut, dass die Lolita von ihrer Familie zum Untotenjäger ausgebildet wurde. Mit Kettensäge, Pompons und wehendem Minirock schnetzelt sich der feuchte Traum pubertärer Jungs durch Horden muffiger Monster, kaut dabei lasziv auf Lutschern und kommt einem rachsüchtigen Verehrer auf die Spur. Immer an ihrer Seite: ihr schmalzlockiger Freund Nick (sportlich, aber feige), den Juliet wegen eines Zombiebisses mit Gewalt auf seinen Kopf reduzieren musste. Das Pärchen tritt unter anderem in Juliets Schule, einer schlammigen Farm und einer Spielhalle gegen Horden von Untoten an. Unterstützt wird die blutige Metzelei von einem richtig guten Soundtrack. Bands wie Children of Bodom, Joan Jett and the Blackhearts und Dragonforce wechseln sich mit Dead or Alive und The Chordettes ab. Die Musik in den Bosskämpfen entstammt dem Hirn von Little Jimmy Urine und natürlich steuert Akira Yamaoka (Silent Hill, Shadows of the Damned) zahlreiche Kompositionen bei. Der Teenie-Humor aus schweinischen Witzen, (verhüllten) Brust- und Höschenblitzern sowie jeder Menge Kraftausdrücken ist sicherlich Geschmackssache, allerdings werden die Sprüche von Juliets lüsternen Mitschülern nach einiger Zeit wirklich öde und sorgen eher für Gähn- statt Lachattacken.
Auch fürs Auge wird einiges geboten: Textur- und Animationsqualität locken heutzutage zwar niemanden mehr hinterm Ofen hervor und Tearing sowie gelegentliche Ruckler und Kantenflimmern sind Euer ständiger Begleiter. Dafür setzt Lollipop Chainsaw bei HUD, Menü und einigen Zwischensequenzen auf einen Comic-Stil, der von den Bildern Roy Lichtensteins inspiriert wurde und sich toll vom auf Realismus getrimmten Einheitsbrei abhebt. Die charakteristischen Punktmuster legen sich manchmal auch über das normale Spielgeschehen, selten kommt auch der Horror-typische Grießelfilter zum Einsatz. Die grobe Gewaltdarstellung während der Kämpfe wird durch Regenbögen, Neonherzen, Sternchen und Münzen stark entschärft.
Warum Ihr bis hierher noch nichts vom eigentlichen Spielgeschehen erfahren habt? Weil es dazu kaum etwas zu schreiben gibt! Lollipop Chainsaw funktioniert mit wenigen Ausnahmen nach dem Prinzip eines Final Fight oder Double Dragon: Ihr spaziert in einen abgeschlossenen Teil des Levels und müsst Euch mit einer festgelegten Anzahl Gegner auseinandersetzen, bevor es zum nächsten Schauplatz geht. Eine Zahl am linken Bildrand verrät, wie viele der Bösewichte Ihr noch zurück ins Grab schicken müsst. Besonders taktisch könnt und müsst Ihr nicht vorgehen. Zwar führt die Cheerleaderin Hiebe nach unten oder oben aus, gezielt Gliedmaßen abtrennen wie bei Dead Space könnt Ihr aber nicht. Schade, denn so beschränken sich die Gefechte trotz zahlreicher freischaltbarer Combos auf wildes Knöpfchendrücken und gelegentliche Hüpfer über die Köpfe der Untoten, wenn Ihr mal zu stark in Bedrängnis geratet. Später lässt sich die Kettensäge zwar noch als Schusswaffe gebrauchen, öfter als in den vorgegebenen Passagen ist diese Funktion aber nicht nötig, um die Horden zu besiegen.
Als einzige weitere Waffe muss Euer körperloser Freund Nick herhalten. Habt Ihr eine der seltenen Nick-Cards gesammelt oder in einem der herumstehenden Shops gekauft, dreht sich auf Knopfdruck ein Glücksrad mit Spezialattacken. Stoppt Ihr das Roulette zur richtigen Zeit, verwandelt Ihr Nick in eine Kanone, einen Morgenstern oder verwendet ihn als Fußball. Anfangs könnt Ihr aber auch eine Niete ziehen, wenn Ihr nur ein paar Einsatzmöglichkeiten der Schmalzlocke besitzt. Ansonsten hält Euer Freund als mäßig lustiger Sidekick her und hilft Juliet auf dem Körper kopfloser Zombies mit ewig langen Quick-Time-Events beim Überwinden von Hindernissen. Abwechslung bieten immerhin verrückte, aber viel zu leicht besiegbare Rock-Zombie-Bosse, nette Matches gegen Baseball- und Basketballteams und ein kruder Drogentrip. Den Tiefpunkt markieren zwei Fahrten mit einem Mähdrescher, bei denen Ihr ohne jede spielerische Herausforderung Hunderte Untote schreddert und dabei genug Muße habt, den hässlichen und einfach verschwindenden Weizen auf dem Feld zu betrachten.
Gerade mal sechs Stunden verbringt Ihr mit Juliet, dann ist der Spuk schon wieder vorbei. Mit eingerechnet sind natürlich die Ladezeiten, die das Geschehen an den unpassendsten Stellen unterbrechen und gerade den Bosskämpfen die Spannung rauben. Nach der Kampagne (mit zwei verschiedenen Enden) steht eine vierte Schwierigkeitsstufe zur Verfügung, außerdem wählt Ihr die Levels einzeln im Rangmodus an, wo Ihr High Scores und Bestzeiten aufstellt und Euch mit der weltweiten Zombiejäger-Gemeinde vergleicht.
Tobias Kujawa meint: Suda51 verfolgte mit Lollipop Chainsaw anscheinend die Devise Style over Substance. Schade, denn die Mischung aus US-Teenie-Klischees und bonbonfarbener Metzelei hat mich von der Idee her und nach den ersten Gefechten durchaus gereizt. Es fehlt aber einfach an Abwechslung, Herausforderung und Spieldauer. Dass es auch anders geht und man durchaus eine sexy Hauptdarstellerin mit anspruchsvollen Kämpfen und einer tollen Präsentation mixen kann, zeigten Platinum Games mit Bayonetta. Andererseits macht vielleicht gerade diese Einfachheit den Reiz des Spiels aus. Zwischendurch mal eine halbe Stunde Zombies zerlegen, dumme Witze hören und sich an der attraktiven Juliet ergötzen dafür taugt die Metzelei durchaus. Was Lollipop Chainsaw aus dem Einheitsbrei erhebt, ist die verrückte Optik. Für diese: Daumen hoch!
Michael Herde meint: Sudas neuer Streich fällt zu kurz und das Kampfsystem zu unflexibel und träge aus: Kämpfen ist für mich hier eher ein zu überwindendes Übel denn fesselnd-fordernder Genuss. Sudas Werke waren spielerisch noch nie sonderlich ausgefeilt, der Reiz liegt im Unkonventionellen. So fühlt sich Lollipop Chainsaw eher an wie alte Sega-Automaten Marke House of the Dead denn wie God of War. Ob es genial oder dilettantisch ist, die Zahl noch zu tötender Gegner nicht zu verschleiern, sondern zu betonen, weiß ich nicht. Was schrille Ästhetik betrifft, geht Juliet weiter als zuletzt Shadows of the Damned, so konsequent wie Killer 7 wirkt das Spiel aber nicht. Mein Highlight sind die Ladebildschirme und die tolle Musik: Von Disco-Funk über 1980er-Synthie-Pop bis zu hippem Dubstep und schmissigen Viking-Metal-Nummern rocken Yamaoka und etliche Bands die Hütte!
- Ami-Mädel mit Kettensäge rettet ihre Stadt auf blutige Art vor den Untoten
- einfallslose Metzeleien mit wenig eingängigen Combos
- einfallsreiche, aber unsaubere Grafik
- Rang-Modus mit High Scores und Levelzeiten, online vergleichbar
Sexy Zombie-Schnetzelei ohne die Reife einer Bayonetta, dafür mit tollem Soundtrack und schönen Grafik-Experimenten.
Singleplayer |  | 70 |
Multiplayer |  |
Grafik |  |
Sound |  |